Der Ausstieg der USA aus dem INF-Vertrag

Was ist der INF-Vertrag?

Der INF-Vertrag, oder auch als Intermediate Range Nuclear Forces Treaty bezeichnet, galt als bilateraler Vertrag zwischen den USA und der damaligen Sowjetunion und verpflichtete beide Staaten, ballistische Raketen mit einer Reichweite zwischen 500 und 5500 km zu zerstören.[1]

Insbesondere für die westeuropäischen Staaten war dies eine große Erleichterung, da man befürchtete, durch die sowjetische Stationierung von SS-20 Mittelstreckenraketen erpressbar zu sein.[2]

Warum sind die USA aus diesem Vertrag ausgestiegen?

Einer der Kernvorwürfe vonseiten der USA besteht darin, dass Russland neue Mittelstreckenraketen entwickeln und stationieren würde. Im März 2017 hatte der stellvertretende Vorsitzende des US-Generalstabchefs, Paul Selva, öffentlich bekannt gegeben, dass Russland neue Waffensysteme entwickle und damit gegen den INF-Vertrag verstoße. [3] Laut offiziellen Aussagen seien erste Bemühungen Moskaus zur Entwicklung eines solchen Waffensystems bereits seit 2008 bekannt gewesen und man habe seit 2013 versucht, mit Moskau in einen Dialog zu treten[4]. Seit 2014 existieren somit öffentliche Kritik an einem vermeidlichen russischen Programm zum Aufbau von neuen Mittelstreckenraketen. Anfang Januar 2019 wurde schließlich eine neue Mittelstreckenrakete vom russischen Militär präsentiert, mit einer offiziellen Reichweite von 480 km. [5] Die USA gehen davon aus, dass die neuen Marschflugkörper, insbesondere in der Inskander-Varaiante 9M729 eine deutlich weitere Reichweite haben und bis zu 2600 km fliegen können[6].

Erwähnenswert hierbei ist, dass diese Kritik schon unter der Obama-Administration und im Kontext der Ukraine-Krise, welche im selben Jahr begonnen hat, stattgefunden hat. Dies ist somit keine weitere „Besonderheit“ der Trump-Administration bzw. der „America First“ Außenpolitik. Im Grunde hat man die Konsequenzen aus der anhaltenden Kritik gezogen.

Ein weiterer Faktor ist, dass andere Staaten mit nuklearen Kapazitäten wie China nicht an den Vertrag gebunden seien und diese somit problemlos solche Waffensysteme entwickeln konnten[7].

Was sind die Konsequenzen?

Für Europa sind die Konsequenzen der Aufkündigung des INF-Vertrags erheblich. Sollten Mittelstreckenraketen erneut ins nukleare Arsenal der Großmächte (USA und RU) eingebaut werden, muss von Seiten der europäischen Staaten überlegt werden, wie man möglichst schnell Abschreckungskapazitäten aufbauen kann, damit man nicht erpressbar werden kann. Sollten russische Mittelstreckenraketen wie die Iskander 9M729 tatsächlich eine Reichweite von 2600 km besitzen, so dürften damit einige europäische Hauptstädte wie Berlin ins Visier gelangen. Hierbei kommt es dann auf die Positionierung dieser an, eine entsprechende Möglichkeit wäre Kaliningrad.

Russland könnte diese Mittelstreckenraketen sogar dafür nutzen, um unter deren „Schutzschirm“ militärische Aktionen wie in der Krim durchzuführen, da man auf Seiten der NATO bzw. der europäischen NATO-Staaten keine Gegenmaßnahmen mehr zur Verfügung hätte.

Eine Diskussion um den Aufbau von Abschreckungskapazitäten wäre dementsprechend sogar zwingend notwendig, wenn man zum einen das Gleichgewicht der nuklearen Abschreckung behalten will und zum anderen signalisieren will, dass man sich nicht vor den Aufrüstungsbestrebungen des russischen Militärs fürchtet. Auch muss man den osteuropäischen Staaten, welche der westlichen Gemeinschaft zugeneigt sind, Solidarität zusichern, welche nicht aus blumigen Worten bestehen. Das bedeutet allerdings auch, dass große europäische Staaten wie Deutschland sich dieser Debatte stellen müssen und entsprechende Anstrengungen bezüglich ihrer Verteidigungshaushalte starten müssen, um einen angemessenen Beitrag zur Solidarität mit diesen Ländern zu leisten.

Das Ende des INF-Vertrages könnte auch Auswirkungen auf den New-Start Vertrag haben, welcher die Reduzierung der Atomwaffenarsenale der beiden Großmächte regelte. Moskaus Vize-Außenminister Sergej Rjabkow hat im Februar bekannt gegeben, dass Washington kein Interesse an einer Verlängerung dieses Abkommens hätte und man davon ausgehe, dass auch dieses Abkommen auslaufen wird. [8]

Das Ende solcher wichtigen bilateralen Verträge ist, wenn man den Gesamtkontext betrachtet, ein weiterer Indikator dafür, dass sich die Welt wieder in einen klassischen Großmächtekonflikt bzw. den Kampf um Einfluss und Macht bewegt. Sowohl Washington als auch Moskau werden wieder in den Aufbau von konventionellen und nuklearen Kapazitäten investieren, um eben Einflusssphären zu halten und evtl. zu erweitern. Mit China haben wir jetzt, im Gegensatz zum Kalten Krieg, auch noch einen dritten Spieler, der seinerseits versucht, eine Regionale Hegemonie in Asien aufzubauen. Ob eine solche multipolare Welt mehr Unsicherheiten mit sich bringt oder sogar friedensfördernd ist, ist umstritten. Auf der einen Seite kann man argumentieren, dass ein multipolares System mehr Spielräume für die Austragung von begrenzten Konflikten mit sich bringt und die Gefahr beinhaltet, dass sich zwei Großmächte gegen einen verbünden könnte und diesen in eine Sackgasse manövriert.[9]

Andererseits bietet dies auch die Möglichkeit, dass man einen möglichen Aggressor einfacher eindämmen könnte und man könnte argumentieren, dass Großmächte weniger feindselig agieren, da man sich nicht nur auf einen Feind konzentrieren könnte.[10]

Es ist ehrlich gesagt schwer, diesbezüglich eine 100% zuverlässige Prognose abzugeben. Sowohl die Austragung von begrenzten Konflikten um Regionen ohne eine komplette Eskalation als auch die Einschränkung von Feindseligkeiten würden ins neorealistische Narrativ des Staates als rationalen Akteurs passen. Auf jeden Fall ist klar, dass wir uns geopolitisch in neue Gewässer bewegen und man entsprechend auch abwarten muss, was passieren wird. Auf jeden Fall wird man in den nächsten Jahren vor allem die Politik in Washington, Moskau und Peking beobachten müssen, was außenpolitische Fragen angeht. Organisationen wie die UN dürften hierbei eher eine Randnotiz werden.

  1. Vgl. Richter, Wolfgang: Der INF-Vertrag vor dem Aus. SWP-Aktuell 63, November 2018

  2. Vgl. Richter, Wolfgang: Der INF-Vertrag vor dem Aus. SWP-Aktuell 63, November 2018

  3. Vgl. Meier, Oliver: Zuspitzung im Streit um den INF-Vertrag. SWP-Aktuell SWP-Aktuell 32, Mai 2017

  4. Vgl. Meier, Oliver: Zuspitzung im Streit um den INF-Vertrag. SWP-Aktuell SWP-Aktuell 32, Mai 2017A

  5. Vgl. Zeit Online: Russland präsentiert neue Mittelstreckenrakete. Online verfügbar unter: https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-01/aufruestung-russland-mittelstreckenrakete-inf-vertrag-usa-nato

  6. Vgl. Richter, Wolfgang: Der INF-Vertrag vor dem Aus. SWP-Aktuell 63, November 2018

  7. Vgl. Richter, Wolfgang: Der INF-Vertrag vor dem Aus. SWP-Aktuell 63, November 2018

  8. Vgl. Zeit Online (2019): Russland sieht weiteren Atomwaffenvertrag mit USA in Gefahr. Online verfügbar unter: https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-02/new-start-vertrag-russland-usa-atomwaffen

  9. Vgl. Mearsheimer, John (2010): Structural Realism. In: Tim Dunne, Milja Kurki und Steve Smith (Hg.): International Relations Theories: Discipline and Diversity. 2. Aufl. Oxford: Oxford University Press, S. 77–94.

  10. Siehe 9

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