Thüringen – Ein Dammbruch

Auch wenn sich mein Blog sich eigentlich mit Außenpolitischen Politischen Themen auseinandersetzt, muss ich über die gestrigen Ereignisse im Thüringer Landtag schreiben, da diese doch ein ziemlicher Paukenschlag für den deutschen Parlamentarismus waren.

Was war geschehen? Gestern war die Wahl des neuen thüringischen Ministerpräsidenten geplant und Bodo Ramelow hat in den ersten zwei Wahlgängen, in denen eine absolute Mehrheit notwendig war, diese verpasst, sodass man in den dritten Wahlgang gehen musste.

Dass Ramelow die ersten beiden Wahlgänge aufgrund der Konstellation im Landtag verpassen würde, war dabei nicht sonderlich überraschend. Viele (darunter auch ich) sind davon ausgegangen, dass Ramelow schließlich im dritten Wahlgang mit einer relativen Mehrheit gewählt wird. Doch genau in diesem Wahlgang wurde es schließlich turbulent.

Die FDP hat sich entschieden, für diesen Wahlgang Thomas Kemmerich als Spitzenkandidaten ins Rennen zu schicken; Auch die AfD hatte mit Christoph Kindervater einen eigenen Kandidaten. Und schließlich der Paukenschlag: Mit genau einer Stimme mehr gewinnt Kemmerich den dritten Wahlgang gegen Bodo Ramelow (45 zu 44), während der AfD-Kandidat Kindervater seltsamerweise überhaupt keine Stimmen erhalten hat.

Das bedeutet, dass Kemmerich sich mit Hilfe der CDU als auch der AfD hat wählen lassen und der Schock war im Thüringer Landtag definitiv zu sehen; Die Fraktionsvorsitzende der Linkspartei hat Gratulationen gegenüber dem neuen Ministerpräsidenten verweigert und den Blumenstrauß vor seinen Füßen hingeschmissen und auch wenn ich absolut kein Freund der Linkspartei bin, konnte ich dies auch sehr gut nachvollziehen.

Als Folge dessen wird sehr häufig über einen Dammbruch gesprochen; Dass das Bürgerliche Lager (CDU und FDP) die AfD mit diesen Manövern salonfähig macht und einem Vertreter des Radikalen Flügels wie Björn Höcke Legitimation verleiht.

Für mich stellen sich ebenfalls einige Fragen, sowohl auf analytischer Ebene als auch auf der Ebene des einfachen FDP-Mitglieds, auf die ich in Teilen genauer eingehen werde:

  1. Die analytische Ebene
    1. Wie ist es der Bevölkerung vermittelbar, dass eine 5% plötzlich den MP stellt, obwohl Ramelow und die Linken in Thüringen sehr gute Umfragewerte haben?
    2. Gab es Absprachen zwischen CDU, AfD und FDP?
    3. Wie hoch ist der politische Schaden für die FDP mittel- bis langfristig?
  2. Persönliche Ebene als FDP-Mitglied
    1. Ist das euer scheiß Ernst?
Ein MP aus einer 5% Partei:

Zunächst ist festzuhalten, dass wir nun in einer Konstellation sind, in der die kleinste Fraktion des Landtages den Ministerpräsidenten stellt. Das ist, mit Verlaub, ziemlich kurios und daraus resultieren neue Probleme.

Zum einen dürfte es dem Wähler kaum vermittelbar sein, warum ausgerechnet der Vertreter der kleinsten Partei in der Fraktion Ministerpräsident wird und der Vertreter der stärksten Fraktion abgewählt wird. Wir haben hier also ein Szenario, welches formaljuristisch natürlich möglich ist, aber aus politischen Gründen bisher eher ein hypothetisches Szenario war.

Daraus resultiert ein zweites Problem: Was für eine Regierung will Kemmerich eigentlich bilden?
Selbst wenn er einen Pakt mit CDU, SPD und Grünen schließen kann, würde er weiterhin keine Mehrheit im Landtag haben; Er würde also weiterhin die Linkspartei oder die AfD als weiteren Partner benötigen.

Da ich offen gesagt bezweifle, dass die Linkspartei nach diesem Machtspiel noch kooperationswillig ist, bliebe nur noch die AfD übrig und da wird es dann definitiv heikel, da sich Kemmerich dann in die Abhängigkeit von Björn Höcke begeben würde; Der Mann, der offen als Faschist bezeichnet werden darf und nachgesagt wird, dass er unter dem Pseudonym Landolf Ladig die NPD beworben hat. Tja.

Gab es Absprachen zwischen der CDU, FDP und der AfD?

Und hier kommen wir zu einem weiteren problematischen Punkt; Gab es Absprachen?

Aktuell halte ich für beide Szenarien möglich. Szenario 1 würde implizieren, dass Kemmerich ohne Kenntnis durch die AfD gewählt wurde und die Kandidatur von Kindervater eine Art Täuschmanöver war, um CDU und FDP in erhebliche Probleme zu bringen. Also eine Art Falle.

Sollte dieses Szenario der Fall ist, hätte Kemmerich die Wahl zum Ministerpräsidenten ablehnen müssen, was er allerdings nicht getan hat und das ist das, was man ihm mindestens vorwerfen kann und muss. Szenario 2 wäre allerdings noch unvorteilhafter für ihn.

In Szenario 2 gäbe es im Vorfeld der Wahl eine Absprache zwischen den drei betroffenen Parteien und eine entsprechende Organisation der Stimmen. Das wäre dann in der Tat ein Dammbruch des bürgerlichen Lagers bezüglich des Umgangs mit der AfD, während Szenario 1 zum Teil mit einer massiven Naivität erklärbar wäre.

Egal welches Szenario zutreffend ist; Sowohl die CDU als auch die FDP sind große Verlierer in dieser Sache. Bei der CDU zeigt sich, wie schwach AKK als Parteichefin geworden ist. Sie hat zwar mehrmals auf die Unvereinbarkeitserklärung ihrer Bundespartei verwiesen (Keine Koalition mit AfD und Linkspartei), konnte aber den Landesverband in Thüringen nicht „unter Kontrolle“ bringen, welcher nun weiterhin als abtrünniger Landesverband agiert.

Bei der FDP ist der Schaden natürlich ebenfalls immens; Gerade die Tatsache, dass man sich 2017 aus den Verhandlungen zur Jamaika-Koalition zurückgezogen hat und sich nun durch die AfD wählen lässt, ist eine ziemlich offene Flanke. Zwar hat Lindner erneut beteuert, dass es keine Kooperation mit der AfD gäbe, aber ehrlich gesagt warte ich doch noch ab, was noch so herauskommt.

Als FDP-Mitglied:

Ich denke, dass man da nicht so viel schreiben muss; Ich war gestern über die ganze Sache überrascht als auch entsetzt. Eine Kooperation mit der AfD und dem Höcke-Flügel ist für mich eine rote Linie, die man unter keinen Umständen übertreten darf und stellt mich in der Tat vor die Frage, ob ich in der FDP noch richtig bin.

Aber ehrlich gesagt muss ich darüber noch einige Tage nachdenken. Die ganze Situation in Thüringen ist so oder so ein absoluter Wahnsinn.

Aktualisierung vom 06.02.20, 15:12:

Ich liefere hier ein kurzes Update nach, da doch noch einiges passiert ist.
Ministerpräsident Kemmerich hat angekündigt, einen Antrag auf Auflösung des Landtages zu stellen, um Neuwahlen zu initiieren. Dies ist meiner Meinung nach der richtige Schritt, um diese Situation aufzulösen. Nichtsdestotrotz ist ein immenser Schaden entstanden.

Gleichzeitig war gerade eben eine Pressekonferenz mit FDP-Chef Christian Lindner, welcher aufgrund dieser Situation nach Erfurt gereist ist. Wenn ich es richtig verstanden habe, wird er morgen auf einer Sondersitzung der Parteispitze in Berlin die “Vertrauensfrage” stellen. Es kann also gut sein, dass wir morgen nochmals ein richtiges Erdbeben in der FDP erleben werden.

Man muss leider resümieren, dass die AfD einen kolossalen Erfolg zu verbuchen hat. Mit dieser Wahl haben sie sowohl in der FDP als auch in der CDU für ein extrem großes Chaos mit bisher nicht absehbaren Folgen gesorgt. Profitieren dürften bei den Neuwahlen sowohl die Linkspartei um Ramelow als auch die AfD, während CDU und FDP massiv verlieren dürften.

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